Schwere Verletzungen der Muskeln einer Sportlerin nach Training mit Reizstrom

Schwere Verletzungen der Muskeln einer Sportlerin nach Training mit Reizstrom

In unserer Kanzlei meldete sich eine aktive Sportlerin, die sich bester Gesundheit erfreute. Sie absolvierte am 12. Januar 2014 in einem EMS-Studio ein Probetraining. Wie bei dieser Trainingsmethode üblich, wurden ihr Manschetten an den Oberschenkeln, am Gesäß, am Rücken, auf dem Bauch und an den Oberarmen angebracht. Bei dem Einweisungsgespräch erklärte eine Mitarbeiterin des Studios, die Trainingsmethode sei völlig unbedenklich, sofern ihr nicht eine Risikoveranlagung vorliege; dazu gehörten Patienten mit multipler Sklerose, Schwangerschaft, Krebs, Thrombose, Herzschrittmachern und Epileptiker. Sie gehöre ja nicht dazu und könne damit ungehindert loslegen. Unsere Mandantin wurde von ihrer Mutter begleitet, die ebenfalls das Training ausprobieren wollte. Als das Training durchgeführt wurde, stellte eine Mitarbeiterin des Studios den Strom relativ hoch. Bei unserer Mandantin etwas mehr als bei ihrer Frau Mutter.

Hinweise auf Schmerzen wurden von Trainerin zurückgewiesen

Schon nach kurzer Zeit klagte unsere Mandantin über Schmerzen, die sich indifferent am ganzen Körper zeigten. Sie regte an, die Stromstärke etwas zu reduzieren. Die Trainerin riet jedoch davon ab, da das Training sonst „keinen Effekt habe“. So ließ sich unsere Mandantin dazu überreden, das Training abzuschließen. Zwar fühlte sie sich auch unmittelbar nach dem Training nicht besonders gut, wurde aber dahingehend informiert, dass das beim ersten Mal ganz normal sei. Sie unterschrieb einen Vertrag, der auf 52 Wochen angelegt war und ein Wochenpreis von 24,90 Euro auspreiste.

Ärzte diagnostizierten Beschädigung von Muskelgruppen durch Elektrostimulationstraining

Am darauf folgenden Tag verschlechterte sich der Zustand unserer Mandantin erheblich. Schließlich musste ein Krankenhaus aufgesucht werden. Mittlerweile bestand eine starke Schmerzbelastung im Brustbereich, Herzrasen, starke Kopfschmerzen und Schmerzen an einigen Muskelgruppen. Die Ärzte führten eine umfangreiche Diagnostik durch und stellten fest, dass im Zuge des Elektrostimulationstrainings einzelne Muskelgruppen beschädigt worden waren. Dies zeigte sich an den sogenannten CK-Werten (Kreatine Kinase), die ausgehend von einem Normbereich von 145 CK bei der Einlieferung 8.000 CK betrugen, bis hin zu 26.000 CK in den darauf folgenden Tagen.

Sportlerin musste im Krankenhaus verbleiben, da Nierenschaden drohte

Unsere Mandantin musste stationär aufgenommen werden. Es erfolgte eine Infusion, eine sogenannte Diurese, welche die Ablöseteilchen der Muskulatur ausspülen sollte, um zu verhindern, dass die Nieren Schaden nehmen. Gegen die Schmerzen wurde eine qualifizierte Schmerztherapie durchgeführt sowie umfangreiche Maßnahmen zur Kreislaufstabilisierung angesetzt. Die Patientin war mehrere Tage nicht in der Lage, aufzustehen. Als abschließende Diagnose stellten die Ärzte eine sogenannte Rhabdomyloyse fest. Darunter versteht man die Auflösung quer gestreifter Muskelfasern, hier nach Elektrostimulation. Im Ergebnis musste unsere Mandantin mehrere Tage im Krankenhaus bleiben und leidet noch heute unter den Folgen dieser Verletzungen.

Nachdem in solchen Studios mittlerweile Schultern gebrochen werden, Ohnmachtsanfälle und nachhaltige Beschwerden vorkommen können, stellt sich hier wiederum die Frage, ob diese Trainingsmethode sicher ist. Natürlich ist es verlockend, ohne Sport zu treiben und sich anzustrengen, einen schönen Körper zu bekommen. Jedoch versprechen diese Studios oft einen Trainingseffekt, der mit den klassischen Sportarten bei weitem nicht erreicht werden kann. Dazu kommt, dass der Kreislauf und der Bewegungsapparat nicht gefordert werden und so eigentlich jeglicher sportlicher Effekt ausbleibt. Unsere Kanzlei hat über diese Fälle schon öfters publiziert und wurde aus der EMS-Reizstromszene heftig attackiert. Einhelliger Vorwurf war, dass dies eine sichere Trainingsmethode sei und die Leute selbst dran schuld wären (Haftung bei schwerem Unfall in einem EMS-Trainingsstudio).

Trainierende sollten bei fehlender Beratung von Reizstromtraining Abstand nehmen

Trainierende, die sich mit dieser Methode anfreunden wollen, sind auf eine kompetente Beratung angewiesen. Dazu genügt es nicht, irgendeine Fitnesstrainer-Lizenz zu haben, sondern, nach unserer Auffassung, spezifische Kenntnisse der menschlichen Physiognomie und der möglichen Belastbarkeit von Muskelgruppen. Zunächst einmal ist nach unserer Auffassung die Werbung, alles sei ganz ungefährlich, irreführend. Des Weiteren sollten Hinweise von Trainierenden ernst genommen werden, wenn diese sich über starke Schmerzen oder Überbeanspruchung beschweren. Gerade beim ersten Training gleich voll aufzudrehen, ist genauso falsch, als würde man einen Trainings-Novizen im Fitnessstudio ordentlich Gewicht auflegen, um zu sehen, was geht.

EMS-Studios haften unter den gleichen Grundsätzen wie Fitnessstudios

Was die mögliche Haftung eines solchen Studios betrifft, existiert hier noch keine große Rechtsprechung. Allerdings können diejenigen Grundsätze hervorgehoben werden, die sich bei der Haftung von Fitnessstudios heraus entwickelt haben.

Das OLG Hamm hat entschieden, dass Fitnessstudiobetreiber nicht verpflichtet nicht, das Wohlbefinden ihrer Kunden engmaschig zu überprüfen. Wer also einen unvorhergesehenen Schwächeanfall erleidet und stürzt, hat keinen Anspruch auf Schadensersatz (OLG Hamm, Urteil vom 29. August 2012 zu Az. I 12 U 52/12). Anders wird die Sache jedoch gesehen, wenn sich eine Gefahrenlage abzeichnet. Also wie zum Beispiel in unserem Fall das Klagen einer Sportlerin über Schmerzen. Es lässt sich zusammenfassen:

  • Es muss im Studio eine Gefahrenlage geschaffen worden sein,
  • aus der sich die naheliegende Möglichkeit einer Schädigung anderer ergibt,
  • sodass es sich im Rahmen des Zumutbaren bewegt, je nach Einzelfall und der sog. herrschenden Verkehrsauffassung einzuschreiten.

Unterbleibt Reduzierung nach Hinweis des Trainierenden, liegt eine Pflichtverletzung des Trainers vor

Zwar muss es jedem Einzelnen überlassen bleiben, wie weit er das sportliche Risiko eingehen will. Jedoch kann der Trainierende darauf vertrauen, dass die technischen Anlagen und die Ausstattung des Studios sich in einem einwandfreien Zustand befinden. Des Weiteren kann er darauf vertrauen, dass das dort beschäftigte Personal nicht nur kompetent genug ist, ein Training zu betreuen, sondern auch, um mögliche Gefahren zu erkennen. Das lässt sich im hiesigen Fall eindeutig verneinen. Die Trainerin hätte das Training reduzieren oder sogar abbrechen müssen. Darin liegt jedenfalls eine Pflichtverletzung, die einen Schmerzensgeldanspruch sowie Schadensersatzansprüche begründet.

Wartungsintervalle der Geräte muss der Betreiber nachweisen

Nächster möglicher Anknüpfungspunkt ist die Frage, ob die Geräte, die hier verwendet werden, regelmäßig gewartet und funktionssüchtig sind. Dies muss der Fitnessstudiobetreiber im Zweifel nachweisen. Klassisches Beispiel ist das gerissene Seil oder die zusammengebrochene Hantelbank, bei der der Sportler zu Schaden kommt (LG Duisburg, Urteil vom 07. Januar 2011 zu Az. 6 O 75/19). Bei komplizierten Geräten, wie dem Reizstrom-Sport, sollten hier gehobene Maßstäbe angesetzt werden. Scheint es doch so zu sein, dass bei zu hoher Einstellung dieser Geräte schwere Schäden die Folge sein können. Im Umkehrschluss sind Geräte, bei denen die Stromstärke nicht richtig reguliert werden kann, eine permanente Gefahr.

Sportler sollten Unfallversicherung abschließen

Zu beachten ist noch: Sportler sollten sich zum Abschluss einer Unfallversicherung entscheiden. Doch Vorsicht: Viele Unfallversicherungen haben Sportunfälle aus ihrem Leistungskatalog ausgenommen. Streng genommen liegt ein Unfall vor, wenn die versicherte Person durch ein plötzlich von außen auf ihren Körper wirkendes Ereignis unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung erleidet. Die Unfreiwilligkeit wird bis zum Beweis des Gegenteils vermutet. Bei einem Unfall im Rahmen eines Reizstromtrainings lässt sich dies sicherlich bejahen. Im vorliegenden Fall wäre dann also noch zu prüfen, ob ebenfalls die Haftpflichtversicherung des Studios eintreten muss, aufgrund fehlerhafter Einweisung oder einem Gerätefehler.

Unser Tipp für Sportler: Kein Reizstromtraining bis zur Lösung technischer Probleme

Wir würden raten, vom Besuch solcher Studios so lange abzusehen, bis die technischen Probleme dieser Geräte überzeugend gelöst sind. Es kann nicht sein, dass es zu schweren Verletzungen oder langen Krankenhausaufenthalten kommt, nur weil diese Trainingsmethode einfach nicht genügend beherrscht wird. In unserem Fall ist eine topfitte, gesunde und sportlich aktive Frau betroffen. Diese Besuchergruppe dürfte eigentlich kein Schaden erleiden. Übrigens waren die CK-Werte auch bei der Mutter unserer Mandantin stark erhöht. Hätte Sie mehr Strom bekommen, wäre es wohl auch übel ausgegangen.

Unsere Kanzlei hat den geschlossenen Fitnessvertrag angefochten, hilfsweise fristlos gekündigt. Das Fitnessstudio erklärte, diese Kündigung nicht zu akzeptieren. Tenor: Der Unfall tut uns leid, aber die Sportlerin muss jetzt am Ball bleiben. Das ist nun wirklich nicht mehr komisch.

Es bleibt somit mit hoher Wahrscheinlichkeit nur der Weg, den Betreiber des Studios zu verklagen und zu hoffen, dass es unserer Mandantin sehr bald wieder besser geht bzw. diese keinen bleibenden Schaden davonträgt. Die Ärzte waren sich einig: Wäre sie nicht ins Krankenhaus eingeliefert worden, wären ihre Nieren durch die im Blut befindlichen Abbauprodukte irreparabel geschädigt worden. Dies hätte sogar das Leben unserer Mandantin gefährdet. Gerne Sport frei, aber bitte nicht so. Wir beraten Sie gerne…